You can enable/disable right clicking from Theme Options and customize this message too.

Huch, plötzlich Alles braun?!

Bei der gegenwärtigen Betroffenheit, die von den Politikern dieses Landes zum Ausdruck gebracht wird, sehen sie sich mit der plötzlich, scheinbar aus dem Nichts auftauchenden braunen Welle konfrontiert kann ich nur mit dem Kopf schütteln. Erst recht, stellen sich Leutchen hin, lassen sich in ihre Wahrheit fallen und behaupten ernsthaft: „in der DDR hat es solche Leute nicht gegeben! Dort war kein Hort für derartiges Gedankengut“. Das kam Alles aus dem Westen. So vor zwei Wochen zu lesen in der Leipziger Volkszeitung. Hier ist eine der Gemeinsamkeiten beider Gesellschaftsordnungen- Augen zu und die Realitäten verdrängt, solange sie nicht das eigene Umfeld betreffen.

Rufen wir also die eigenen Erinnerungen zurück: Sommer 1990, Deutschland läßt sich im Einheitstaumel blind treiben… wir sind wieder wer! So, oder so ähnlich blubbert es auch in manchen kahlen Schädeln. Es ist August 1990, auf der Leipziger Festwiese spielen „The Cure“. Als alter DDR-Grufti geht ein Wunsch in Erfüllung. Wir bewegen uns in einer großen Gruppe aus Richtung Hauptbahnhof Richtung Festwiese. Auf der Janallee kommen uns Autos entgegen, aus denen nette „Komplimente“ gebrüllt werden. Aus einem Seitenfenster blinkt eine Messerklinge. Egal, wir freuen uns aufs Konzi, doch eine böse Vorahnung auf Kommendes bleibt. So sollte es in Erfüllung gehen. Das Konzert ist fast zu Ende, aus irgendeinem Grund müssen wir früher los. Vor der Festwiese Schaaren von Bereitschaftspolizei in voller Ausrüstung. Auweia. Ob die wohl wegen randalierender Gothen da waren? Jedenfalls lag Gefahr in der Luft, umsonst waren die sicher nicht dort- Irgend Jemand hat die bestehende Gefahr erkannt… Unter diesem Eindruck laufen wir die paar Meter zu Straßenbahn. Zum Bahnhof laufen wollen wir unter keinen Umständen. Es sind nur wenige Haltestellen bis zum Hauptbahnhof… Was mit dem Zusteigen in die Straßenbahn begann, war Menschenjagd pur. Schön, in so einem Glaskasten gefangen zu sein. Am Bahnhof hält die Straßenbahn- aus der Ferne naht die lärmende Horde. Was nun? Angst. Panik. Hilflosigkeit. In den Bahnhof! Wir rennen los. Wir haben ein paar Mädels mit dabei, müssen aufpassen, daß wir zusammenbleiben… Puhhhh, in der Westhalle sind zum Glück Polizisten aufgebaut, doch hinter ihren Reihen hat sich eine andere Gruppe positioniert, bewaffnete mit Ketten und Baseballschlägern. „IHR SEID KEINE DEUTSCHEN!“ & „WIR-KRIEGEN-EUCH-ALLLLEEEEEE!“ wird skandiert. Na prima. Weg hier, hoch in die grosse Bahnhofshalle… überall Bereitschaftspolizei, die versucht uns von denen zu trennen. Oben ist zunächst alles ruhig, doch irgendwie haben es ein paar von Denen geschafft in die Bahnhofshalle zu gelangen. Erschreckend. Du hast keine Zeit, zunächst zu erfassen, was überhaupt geschieht. Neben mir wird einem anderen Grufti die gerade angesetzte Colabüchse ins Gesicht gedrückt, Nazis rennen hinter jungen Frauen hinterher, wollen sie packen, Polizei kommt fängt die Jäger ein. Nur weg hier! Wir rennen quer durch die auf dem Bahnsteigen abgestellten Waggons, legen uns schließlich im Gang auf den Boden und versuchen zu hören, was draußen passiert…

So ging es in der Wendezeit weiter. Aus Angst vor Naziüberfällen waren die Clubs vergittert, verstärkt. Ich erinnere mich an das alte Kassablanka in Jena, die Fenster vergittert, die Türen mit Bohlen verstärkt. Oder der Eiskeller in Leipzig: mitten im Konzert rief es aus dem Dunkel: „die Nazis kommen!“ Axtstiele wurden über die Theke geworfen und eine Gruppe Punks machte sich auf den Weg… . Dann waren sie immer mal wieder mal hinter uns her. Immer mal wieder- bis es Mitte der 90’er ruhiger wurde. Wen hat es interessiert? Och, die Idioten jagen sich, sollen sie sich doch den Schädel einschlagen. Es war eine bewegte Zeit, da verschwendete Niemand seine Aufmerksamkeit für solche Vorkommnisse, die wenn überhaupt, nur am Rande wahrgenommen wurden. Es passierte doch.

Und so konnten sie wachsen und gedeihen. Jahr für Jahr. Es interessierte Niemanden. Vietnamesen, Türken, Linke, Rostock, Magdeburg, Solingen. Doch heute, da scheinbar das Bestehen der heilen bürgerlichen Welt bedroht ist, da ist das Entsetzen groß. Wie konnte denn das geschehen? MEIN GOTT, WIE FURCHTBAR! NEIN, WIR MÜSSEN ETWAS TUN! Ja, am Besten eine Lichterkette entzünden. In Eurem Blickfeld, doch dennoch von Euren Augen verborgen ist dieser Keim gewachsen. Geschichte wiederholt sich immer wieder, Menschen werden zu Verlierern gemacht oder fühlen sich als Verlierer. Wen interessiert es, solange das große Fressen weitergehen kann? Och, das ist doch nur im Osten & weit weg… .


Mai 2025:
Dies war ein unveränderter Text aus dem Jahr 2006.

Schon krass, dies zu lesen, oder? Heute bin ich einige Kilometer plus Ostsee dazwischen von Deutschland entfernt und kann zur heutigen Situation im Lande D nicht mehr viel sagen. Einiges bekomme ich natürlich noch mit und viele Nachrichten wirken auf mich wie eine Fortsetzung der obrigen Geschichte. Leider.

Dennoch sind einige Jahre ins Land gegangen und der Abstand der Jahre läßt Urteile heute hart ausfallen. In ein paar Jahren wird man unter Umständen vielleicht einsehen müssen, das ein Großteil der heute zu sehenden Erscheinungen – zum Beispiel dem verstärkten Auftauchen eines radikalen und gewaltbereiten Teils der rechten Szene – indirekt selbst so herbeigeführt wurde. Insoweit, das ehrliche Diskussionen nicht zugelassen und in einer eigenen „guten“ Radikalität totgebrüllt wurden. Das ist nur eine Zutat in der Suppe. Es wurde wieder zugelassen, das Menschen zu Verlierern gemacht wurden. Dabei wurde und wird mit geschlossenen Augen und Ohren assistiert.

Ich habe in diesem Zusammenhang eine interessante und aufschlussreiche Zeit in den Jahren Ende 1998 bis Ende 1999 als fast 30 Jahre alter Zivi erlebt, der über ein Jahr fast jeden Tag an einem anderen Ort in einem östlichen Bundesland war. Ich hatte sehr direkten Kontakt mit den Menschen, denn wir waren über einen Blutentnahmeschlauch quasi miteinander verbunden… diese Situation ist einmalig und schafft eine für Gespräche irgendwie entspannte Atmosphäre. 

Ich hab den Menschen zugehört und sie haben mir zugehört. Dabei wurde ich eigentlich nie belehrt und ich habe hoffentlich auch niemals belehrt. Ich war einfach neugierig und wirklich interessiert. Es war sehr, sehr interessant und ich verstand und verstehe gewissen Ansichten besser, auch wenn ich die vielleicht nicht geteilt habe, oder heute teile. Dies musste und dies muss ich nicht, denn meine Meinung ist nicht die allein gültige Wahrheit. 

Ja, es wirkt so, als sei den Menschen die Fähigkeit zuzuhören abtrainiert worden. Diese war auf jeden Fall im Osten in den Wende/ Nachwendejahren vorhanden und Grundlage für die friedliche Revolution, die ohne Blutvergießen geschah. In der heutigen BRD einfach unvorstellbar für mich. Würde es heute, im Jahr 2025, neue Geschichtssieger geben, dann könnte es durchaus sein, das dieser Sieg ein gewaltiger sein könnte. Warum konnte es soweit kommen? Vielleich war es die westdeutsch geprägte Siegermentalität, die verächtlich auf Alles und Jeden mit Fingern und spitzer Feder zeigte? 

0 0 votes
Article Rating
guest

0 Comments
Newest
Oldest Most Voted
Inline Feedbacks
View all comments
0
Would love your thoughts, please comment.x